Die Zähmung des Lichts

05.06.2019 -  

Die Zukunft liegt im Licht, davon ist Jan Wiersig überzeugt. Der Professor für Theoretische Physik weiß, dass Lichtteilchen und -wellen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten für Technik, Industrie, Datenverarbeitung oder medizinische Diagnostik immer wichtiger werden. Doch trotz aller zukünftig möglichen technologischen Anwendunge, der Wissenschaftler sieht sich vor allem als Grundlagenforscher. Mit seiner Arbeit enthüllt er etwa, wie Lichtteilchen aufeinander und auf Materie wirken oder wie Licht effektiv transportiert wird.

Prof. Dr. Jan Wiersig (c) Harald KriegProf. Dr. Jan Wiersig erforscht, wie sich Licht in kleinsten Räumen bewegt und verhält. (Foto: Harald Krieg)

Das Jahrhundert des Photons ist angebrochen

Die Forschung geht dabei heute hauptsächlich in eine Richtung: Die Dimensionen werden immer kleiner und sind inzwischen im Mikro- und Nanobereich angekommen. Für das menschliche Auge sind Strukturen dieser Größenordnung unsichtbar. Auch Jan Wiersig erforscht, wie sich das Licht in solch unvorstellbar kleinen Räumen bewegt und verhält. Im Zentrum seiner Arbeit stehen sogenannte Mikroresonatoren. Diese Systeme, die nur wenige Mikrometer breit und hoch sind, halten das Licht in ihrem Inneren wie in einem Käfig gefangen. Deren Herstellung ist eine Kunst für sich, der sich ganze Arbeitsgruppen widmen. Wiersig vergleicht das Prinzip mit der Flüstergalerie der St. Pauls- Kathedrale in London: Entlang der gewölbten Wände werden Schallwellen über große Strecken transportiert. Flüstert ein Besucher an einem Ende des Gewölbes, kann ihn ein anderer Besucher am gegenüberliegenden Ende immer noch gut verstehen. So ähnlich verhält es sich auch mit den elektromagnetischen Lichtwellen in einem Mikroresonator.

Physiker machen sich das Prinzip zunutze, um das Licht in Scheiben, Kugeln oder auch ringförmigen Schläuchen zu zähmen, es zu kontrollieren, zu messen und gezielt einzusetzen. Lichtwellen, die in dieses System hineingelangen, werden an dessen Wänden reflektiert. Und zwar zu nahezu 100 Prozent, denn die Physiker verwenden dafür Totalreflexion. So kann das Licht auf kleinstem Raum für lange Zeit gespeichert werden.

Seit etwa 30 Jahren stehen Mikroresonatoren im Fokus der Forschung. Das wissenschaftliche Interesse an diesen Lichtspeichern ist nach wie vor ungebrochen. „Für sehr viele Physiker aus den verschiedensten Bereichen ist dieses Forschungsfeld hochspannend“, erklärt Wiersig. Denn das Potenzial für mögliche Anwendungen ist enorm. Ob Mikrolaser für Displays, schnelle Datenübertragung ohne Hitzeerzeugung, Sensoren oder Filter Wiersig fallen auf Anhieb jede Menge Themenfelder ein, in denen bisherige Technologien mit Licht revolutioniert werden könnten. „Nicht umsonst haben wir nach dem Jahrhundert des Elektrons jetzt das Jahrhundert des Photons, also des Lichtteilchens“, erklärt er.

In seiner Arbeitsgruppe untersucht der Physiker hauptsächlich mit Simulationen am Computer, welche Wege das Licht in einem Mikroresonator nimmt und wie es sich gezielt lenken lässt. Die dafür notwendigen Rechenprozesse sind mitunter sehr zeitaufwendig und erfordern enorme Rechenleistungen. Einige Fragen lassen sich aber auch „mit Papier und Bleistift lösen“, sagt Wiersig schmunzelnd.

Von Magdeburg über Harvard bis nach Peking - wissenschaftliche Durchbrüche auf internationaler Ebene

Erst kürzlich errangen die Forscher um Jan Wiersig gemeinsam mit Kollegen aus Harvard und Peking einen wissenschaftlichen Durchbruch in der Mikroresonatorforschung. Ihnen gelang es, ein Problem zu lösen, das sie und andere Forschungsgruppen bereits seit Jahren umtreibt. Es geht um die Frage, wie sich Lichtwellen in einem Mikroresonator gezielter ein- und ausspeisen lassen, um sie dann nutzbringend einsetzen zu können. Vor allem die Geschwindigkeit der Lichtteilchen spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Denn sie entscheidet darüber, ob Lichtteilchen aus hauchdünnen Glasfasern, die parallel zum Mikroresonator angeordnet sind, in den Resonator eingespeist und wieder herausgeleitet werden können. Nur wenn die Lichtpartikel beider Systeme dieselben Eigenschaften besitzen, ist dies möglich.

Allerdings sind gerade jene Prozesse für die Wissenschaftler besonders interessant, in denen sich die Wellenlänge der Lichtteilchen ändert. Das geschieht etwa, wenn Photonen mit Elektronen wechselwirken und sich die Energie der Teilchen verändert. Dann jedoch passen die Teilchen nicht mehr zueinander, zwischen Glasfaser und Mikroresonator ist kein gerichteter Austausch mehr möglich.

Arbeitsgruppe von Prof. Yun-Feng Xiao (c) Universität PekingDie Arbeitsgruppe um Prof. Yun-Feng Xiao an der Universität Peking ist ein Kooperationspartner der Uni Magdeburg. (Foto: Universität Peking)

Chaos anrichten, um den Durchblick zu bekommen

Lange tüftelten die Forscher an einer Lösung dieses Problems und wurden fündig: „Wenn man den Resonator leicht verformt, wird diese Bedingung aufgehoben“, erklärt Wiersig. Mit diesem Kniff nehmen die Lichtwellen einen völlig anderen Verlauf, der sich aber ähnlich wie in der Wettervorhersage schlecht voraussagen lässt. Partikel, die dicht nebeneinander starten, haben nach wenigen Reflexionen an der Resonatorwand vollkommen unterschiedliche Positionen, und auch ihre Geschwindigkeit wechselt permanent. Die Forscher sprechen vom „optischen Chaos“.

Doch dieses Chaos kommt den Wissenschaftlern zur Hilfe. Denn es sorgt dafür, dass die Teilchen in der Glasfaser und im Mikroresonator für extrem kurze Augenblicke dieselbe Geschwindigkeit haben. In genau dieser Zeitspanne können Lichtpakete zwischen beiden Systemen ausgetauscht werden.

Die Form des Resonators so zu wählen, dass dieses optische Chaos möglichst schnell erreicht wird, war das große Ziel der Forscher. Experimentell oder mithilfe numerischer Rechenmodelle ermittelten sie, wie die Lichtwellen auf die geänderte Form reagieren. Dafür arbeiten die Theoretischen Physiker mit Experimentatoren zusammen, die im Labor jene Hypothesen und Ergebnisse nachstellen und überprüfen, die ihre Kollegen am Computer aufgestellt und ermittelt haben.

Nach vielen Versuchen und Berechnungen erreichten sie die gewünschte Form eine minimal abgeflachte Scheibe, die sich optisch kaum von einem Kreis unterscheiden lässt. Mit diesem Werkzeug lassen sich nun völlig neue Experimente durchführen in denen etwa untersucht wird, wie Licht- und Materieteilchen aufeinander reagieren. Außerdem legten die Forscher den Grundstein für eine neue Art der Datenverarbeitung. Anstelle von Elektronen verwendet diese Licht und ist damit nicht nur schneller und effektiver, sondern kommt auch ohne lästige Erwärmung aus.

Mikroresonatoren - eine kleine Technologie mit großem Potenzial

Mit Mikroresonatoren lässt sich aber noch viel mehr anstellen. Die Forscher um Jan Wiersig haben kürzlich auch entdeckt, wie man die Lichtkäfige dazu nutzen kann, kleinste Teilchen in Flüssigkeiten oder Gasen aufzuspüren. Das Prinzip: Nanopartikel lagern sich an der Oberfläche der Mikroresonatoren ab und verursachen eine Farbänderung des Lichts im Inneren des Lichtspeichers. Diese Änderung ist messbar. Der Clou: Die Oberfläche der Mikroresonatoren kann so präpariert werden, dass sich je nach Fragestellung unterschiedliche Partikel anlagern können. Ob Viren, Wirkstoffe eines Medikaments oder DNA-Fragmente die Einsatzmöglichkeiten dieses Messsystems sind sehr groß. So könnte etwa die Blutprobe eines Patienten gezielt nach bestimmten Krankheitserregern gescannt werden.

Aufbau zum Vermessen eines optischen Mikroresonators (c) Washington UniversityAufbau zum Vermessen eines optischen Mikroresonators (Foto: Washington University)

Hinter diesem physikalischen Phänomen steckt ein abstraktes mathematisches Konzept. Wiersig spricht vom „exzeptionellen Punkt“ einem Zustand, in dem Materie- oder Lichtteilchen sehr empfindlich auf äußere Änderungen reagieren. Auch für Physiker ist dieser Zustand in großen Teilen noch unverstanden.

Dennoch findet das Konzept bereits Anwendung: Im Mikroresonator erreichen die Forscher den exzeptionellen Punkt mit sogenannten Nanonadeln. Diese verändern die Lichtwellen so, dass sie hochsensibel auf kleinste Veränderungen reagieren. Mit dieser „Anregung“ ist es möglich, auch kleinste Unterschiede sehr effizient zu erkennen und zu messen.

Der Physiker Wiersig ist vom Konzept des exzeptionellen Punkts fasziniert. „Der Laie wahrscheinlich weniger“, gibt er lachend zu. Doch für den Wisenschaftler ist klar: „Es ist nicht nur ein rein mathematisches Konzept, sondern besitzt auch großes Potenzial für zahlreiche Anwendungen.“ Die Belohnung für seine Arbeit erhält Wiersig meist nach vielen Stunden am Schreibtisch vor dem Computer, nach zahllosen Berechnungen und Simulationen: „Wenn unsere Lösungen dann tatsächlich im Experiment nachgewiesen werden können, ist das ein großes Glücksgefühl.“

Jan Wiersig über seine Arbeit als Wissenschaftler

Mathematik und Physik waren schon in der Schule meine Lieblingsfächer. Ich war davon fasziniert, dass sich die Natur mathematisch beschreiben lässt. Physik hat eine riesige Bandbreite. Sie stellt große, grundlegende Fragen und ermöglicht zugleich viele interessante technische Anwendungen. Der Erkenntnisgewinn ist meine große Motivation, meine Triebfeder. Ich stehe gern vor den Studierenden, um ihnen Wissen zu vermitteln und ihre Kompetenzen in der Forschung zu stärken. Als Wissenschaftler lerne ich jeden Tag Neues kennen und treffe interessante Menschen, insbesondere auf Reisen. Gerade schreibe ich diese Zeilen aus Hawaii, wo ich an einer Konferenz teilnehme.“

Prof. Dr. Jan Wiersig (c) Harald KriegProf. Dr. Jan Wiersig (Foto: Harald Krieg)

 

von Heike Kampe

Letzte Änderung: 09.07.2020 - Ansprechpartner: