Imagepolitur für eine Immunzelle

19.02.2020 -  

Wenn Anne Dudeck mit ihren kleinen Söhnen über Mamas Arbeit spricht, erzählt sie ihnen Geschichten von den Heldentaten der Polizisten und Wachleute in ihren Körpern. Die Professorin erforscht, wie Immunzellen bei der körpereigenen Abwehr miteinander kommunizieren. Ihr Protagonist ist die Mastzelle, die man bisher nur als Schurken wahrnahm. Dudeck und ihr Team zeigen im Rahmen des Magdeburger Gesundheitscampus Immunologie, Infektiologie und Inflammation, welch Heldenpotenzial in ihr steckt.

Asthmatische Anfälle, juckende Quaddeln auf der Haut: Die Mastzelle ist dafür bekannt, dass sie Allergikern das Leben schwermacht, weil sie den Botenstoff Histamin freisetzt. „Im Prinzip ist sie sogar die gefährlichste Zelle im Körper“, erzählt Anne Dudeck. Schließlich verursacht sie anaphylaktische Schocks und kann so einen Menschen innerhalb kürzester Zeit töten.“ Trotzdem ist die junge Forscherin ein glühender Fan der Mastzelle. Das liegt vor allem daran, dass die Zelle mit dem miserablen Image zugleich eine Menge Gutes tut. Nur weiß das kaum jemand, weil dieses Thema bisher wenig erforscht ist. Anne Dudeck und ihr Team am Institut für Klinische und Molekulare Immunologie der Medizinischen Fakultät Magdeburg haben nun aber neue Beweise dafür gefunden, dass die Mastzelle kräftig bei der Immunabwehr mithilft.

Der Antiheld im Körper

Das Ganze funktioniert so: Wenn ein Krankheitserreger über die Haut in den Körper eindringt, schlagen die sogenannten Dendritischen Zellen – in Dudecks Geschichten die Wachleute – Alarm. Diese Zellen nehmen den Erreger auf, wandern in den nächstgelegenen Lymphknoten und melden dort die sich anbahnende Gefahr den T-Zellen – den Polizisten –, indem sie ihnen mithilfe spezieller Moleküle die Bestandteile der Keime präsentieren. Die T-Zellen werden aktiviert, vermehren sich und eilen zum Ort der Entzündung. Doch bevor die Dendritischen Zellen in Richtung Lymphknoten aufbrechen, geben sie die Information über den Keim noch schnell an die Mastzellen weiter, die sich auch in der Haut aufhalten. Diese werden somit zur Wachablösung der Dendritischen Zellen im Gewebe. Wenn später die T-Zellen eintreffen, können die Mastzellen ihnen mitteilen, wo genau es ein Entzündungsproblem gibt. „Das ist ähnlich wie bei einem Unfall“, erklärt die 42-Jährige. „Da sollte auch immer einer vor Ort bleiben, um die ankommenden Helfer einzuweisen.“

Anne Dudeck isoliert Granula aus den Mastzellen (c) Jana Dünnhaupt_Uni MagdeburgAnne Dudeck isoliert Granula aus den Mastzellen (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)

Die Ablösung der Wachleute ist nicht das Einzige, was die Mastzelle zum Prozess der Immunabwehr beiträgt. Während ihr die Informationen übergeben werden, gibt sie der Dendritischen Zelle auch etwas mit: eine Art Booster, der sie schneller und stärker macht. Hierbei handelt es sich um Granula, kleine Kügelchen voller entzündungsfördernder Faktoren. Sie werden durch das Erkennen der Keime freigesetzt und dann von den Dendritischen Zellen aufgenommen.

Die Forschung der Arbeitsgruppe von Anne Dudeck ist Teil des Magdeburger Gesundheitscampus Immunologie, Infektiologie und Inflammation (GC-I³), der unter dem Motto „Entzündungen verstehen – Volkskrankheiten heilen“ steht. Dort beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Fakultäten der Otto-von-Guericke-Universität sowie Ärztinnen und Ärzte der Universitätsmedizin Magdeburg und regionale Kooperationspartner aus der Forschung mit jenen Entzündungen, die maßgeblich an weit verbreiteten Erkrankungen wie Herzinfarkt, Krebs, Demenz oder Allergien beteiligt sind. Ziel ist es, diese besser zu verstehen und innovative Therapien zu entwickeln, die dann am Patienten angewendet werden. Auch die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses, wozu unter anderem die Unterstützung forschender Ärztinnen und Ärzte (sogenannter Clinician Scientists) zählt, gehört zu den Ansinnen des Gesundheitscampus. Im Jahr 2014 wurde er von der Medizinischen Fakultät gegründet, um bereits bestehende Forschungsprojekte auf dem Gebiet der Entzündungsforschung zu bündeln. Heute kooperieren mehr als 20 Institute und Kliniken der Universitätsmedizin Magdeburg und mehrere weitere Institute der Otto-von-Guericke-Universität unter dem Dach des GC-I³. Im Juni 2019 wurden im Rahmen eines Workshops die Weichen für eine noch umfangreichere universitätsweite Kooperation gestellt.

Um herauszufinden, wie bei einer Entzündung die verschiedenen Immunzell-Arten miteinander kommunizieren, bedarf es hochmoderner Technik. Dudecks Arbeitsgruppe nutzte für ihr Projekt ein Multiphotonenmikroskop – eine riesige Apparatur mit Kästen, Rohren, Schläuchen und Monitoren. Für die Forscherin gab es mit den Ausschlag dafür, dass sie vor drei Jahren die Technische Universität Dresden verließ, um einen Ruf als Professorin in Magdeburg anzunehmen.

Unter dem High-End-Mikroskop beobachteten die Forscherinnen und Forscher Entzündungsreaktionen in der Ohrhaut speziell gezüchteter Mäuse. Diese produzieren sogenannte Fluoreszenzproteine, sodass unter dem Laser des Mikroskops die Mastzellen rot und die Dendritischen Zellen grün leuchten. Das ermöglichte es den Wissenschaftlern, live dabei zuzuschauen, welche Zelle wann mit wem kommuniziert und ihr Zellmaterial weitergibt. Im Gegensatz zu anderen Mikroskopen kann man mit der Mehrphotonenapparatur tief in die Haut schauen, ohne jeglichen operativen Eingriff. So werden die natürlichen Abläufe im Körper des Tieres nicht gestört. Dies ist wichtig, um das Verhalten der Immunzellen nicht von außen zu beeinflussen. Zudem können sich die Forscher über mehrere Tage immer wieder die gleiche Stelle anschauen und die Entzündungsreaktion bis hin zur Heilung des Gewebes verfolgen.

Unter dem High-End-Mikroskop leuchten die Mastzellen rot und die Dendritischen Zellen grün (c) Jana Dünnhaupt_Uni MagdeburgUnter dem High-End-Mikroskop leuchten die Mastzellen rot und die Dendritischen Zellen grün (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)

Gute Aussichten für Allergiker

Doch was nutzt einem nun die Erkenntnis, dass die Mastzellen bei der körpereigenen Abwehr so schön mithelfen? Ganz einfach: Wenn man genau weiß, welche Zellart wann welche Aufgabe wahrnimmt, kann man perspektivisch mit Medikamenten gezielt in diesen Prozess eingreifen, um die Immunreaktion zu beeinflussen. Das ist zum Beispiel für die Behandlung von Kontaktallergien, einer weit verbreiteten Volkskrankheit, interessant, erklärt Anne Dudeck: „Bei einer Kontaktallergie handelt es sich um eine durch T-Zellen vermittelte, überschießende Entzündungsreaktion gegen chemische Verbindungen. Wenn man hier die Kommunikation zwischen den Dendritischen Zellen und den Mastzellen blockieren würde, könnte man die allergische Reaktion abmildern.“

Die Bedeutung, die das Erforschen solcher Möglichkeiten hat, werde in Deutschland bisher unterschätzt, findet die Immunologin. „Kontaktallergien sind für die Patienten sehr leidvoll und für den Staat ein riesiger Kostenfaktor. Es gibt viele Menschen, die wegen chronischer Hautprobleme ihren Beruf als Friseur oder als Bäcker aufgeben müssen. Doch bisher nutzt man zur Therapie vorwiegend Cortison – einen Wirkstoff, an den sich der Körper gewöhnt und der auch schwerwiegende Nebenwirkungen hat.“ Hier, erklärt sie weiter, wäre es ausgesprochen sinnvoll, gezielt einen Teilprozess zu blockieren, statt die gesamte Immunabwehr zu hemmen. Aber mit der Mastzelle, die hierfür eine so wichtige Rolle spielt, beschäftigt sich bisher kaum jemand. Wenn Anne Dudeck über diese Zusammenhänge spricht, gerät die sonst so entspannte Frau ein wenig in Wallung angesichts all des unausgeschöpften Potenzials. Immerhin ist diese Kommunikation zwischen Mastzellen und Dendritischen Zellen sogar bei vielen notwendigen Immunreaktionen beteiligt. „So könnte man vermutlich die Abwehr von Infektionen oder auch die Bekämpfung von Tumoren antreiben, indem man die Mastzellen aktiviert und deren Wirkung auf die Dendritischen Zellen fördert.“

Doch nach und nach finden ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Bedeutung der Mastzelle in der Fachwelt Gehör. Die Professorin wird immer häufiger zu Fachkongressen eingeladen, und seit kurzem auch zu den Schulen der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. Dann nutzt sie die Gelegenheit, vor Experten und vor Nachwuchs-Immunologen das Image der Mastzelle aufzupolieren. Und nicht nur das: Ihre jüngsten Forschungsergebnisse konnte Anne Dudeck in hoch angesehenen Fachzeitschriften veröffentlichen, dem „Journal of Experimental Medicine“ und dem „Journal of Allergy and Clinical Immunology“. In der Welt der Wissenschaften lässt sich die Qualität der Zeitschriften praktischerweise ganz objektiv mit einer Zahl bemessen, dem Impact Factor. Er spiegelt wider, wie oft ein Medium zitiert wird. Die beiden US-Journale landen bei über 11 und 14 Punkten; letzteres ist sogar das Top-Journal im Feld der Allergie-Forschung. Seinen Artikel dort zu platzieren, ist schon eine beachtliche Leistung für eine noch kleine Forschungsgruppe jenseits der internationalen Eliteunis. Zum Vergleich: Die Zeitschrift "Nature“, derzeit Platz 1 unter den Forscherheften im Bereich der Immunologie, kommt auf 23 Punkte, der Großteil der Journale wird nur mit unter 5 bewertet.

Anne und Jan Dudeck tauschen sich auch bei Spaziergängen oft fachlich aus (c) Jana Dünnhaupt_Uni MagdeburgAnne und Jan Dudeck tauschen sich auch bei Spaziergängen oft fachlich aus (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)

Wenn es darum geht, neue Ideen zur Erforschung der Mastzelle zu entwickeln, ist Anne Dudecks wichtigster Diskussionspartner ihr Ehemann. Jan Dudeck ist der Experte für die spezielle Mikroskopie-Technik, die ihr Team nutzt und mit Geduld und Fingerspitzengefühl an vielen der herausragenden experimentellen Befunde der Forschergruppe maßgeblich beteiligt. Bei Sonntagsspaziergängen an den Waldseen bei Plötzky mit ihren vier Kindern philosophieren die beiden manchmal stundenlang. „Am Wochenende, wenn man mal einfach drauflos denkt, kommen einem die besten Gedanken,“ erzählt Anne Dudeck.

In einem solchen Denkmarathon ist auch die Idee zum neuen großen Projekt entstanden. Die Professorin und ihre Arbeitsgruppe möchten als nächstes die Kommunikation zwischen der Mastzelle und der T-Zelle näher unter die Lupe nehmen. Denn Letztere reagiert je nach Art einer Entzündung unterschiedlich. Die Frage, die sich Anne Dudeck stellt: Woher weiß die T-Zelle, wenn sie im entzündeten Gewebe ankommt, wie sie reagieren muss? Die Umgebung zur Bearbeitung dieser Frage könnte besser nicht sein. Denn die T-Zellen stehen sowohl im Fokus der Forschung des Instituts für Molekulare und Klinische Immunologie als auch im Mittelpunkt eines 12 Millionen schweren Großforschungsprojekts, dem Sonderforschungsbereich 854, der vom Institut geleitet und koordiniert wird.

Vermutlich erhält die T-Zell-Polizei auch bei ihrer Entscheidung für die richtige Reaktion tatkräftige Hilfe von der Wachablösung. Spätestens, wenn das bewiesen ist, versteht wohl jedes Kind, dass die Mastzelle in den meisten Geschichten kein Schurke ist.

Wussten Sie schon, dass...

  • ...Mastzellen sich bereits vor 500 Millionen Jahren entwickelt haben?
  • ...sie in allen Organen vorkommen und bis zu mehrere Jahre überleben.
  • ...eine Mastzelle mit bis zu 1000 Granula vollgestopft ist? Dies sind körnchenförmige Einlagerungen, die binnen Sekunden nach Aktivierung der Zelle explosionsartig freigesetzt werden.

 

von Elisa Sowieja

Letzte Änderung: 09.07.2020 - Ansprechpartner: