Von Fremdsein und Fremdheit
Mehr als die Hälfte seines Daseins hat er in Magdeburg gelebt. In einer Stadt, die nicht in seinem Heimatland ist. Dennoch ist sie ein Teil seiner Vergangenheit und Gegenwart – seines Lebens – geworden. „Ich fühle die Stadt. Ich kenne ihren Geruch. Viele Plätze sind mir bekannt und sie kennen mich auch. Irgendwie bin ich angekommen, fühle mich nicht fremd“, beschreibt Wahid Nader, syrischer Ingenieur und Dichter.
1985 ist Wahid Nader im Alter von 30 Jahren für ein Ergänzungsstudium mit dem Abschluss als Diplom-Ingenieur im Maschinenbau von der Universität in Homs, Syrien, nach Magdeburg gekommen. Es folgten die Promotion bei seinem damaligen Betreuer Professor Gerd Fleischer und die Rückkehr nach Syrien. Fünf Jahre hat er als Dozent und Forscher an der Universität Aleppo gearbeitet, bis es ihn 1995 schließlich wieder nach Magdeburg zog.
Neues Kapitel: Heimat verlassen, beruflich neu orientieren, sich einer ganz anderen Kultur annehmen. Die Rückkehr sei ihm schwergefallen, erinnert sich Wahid Nader, hatte er doch eigentlich geplant, eine Karriere als Professor in Syrien einzuschlagen. Das, was schluss–endlich passierte, verfolgte jedoch eine ganz eigene Rhythmik. Heute ist er Übersetzer und Dolmetscher. Neben der Passion für Ingenieurwesen und Tribologie hatte er eine zweite: „Schon immer habe ich lyrische Texte geschrieben und den Wunsch, Übersetzer und Dichter zu sein gehabt. Mein Vater wollte, dass ich Ingenieur werde.“
Die Wissenschaft des Dichtens
Bis zur Jahrtausendwende hat der Wahlmagdeburger als Mitarbeiter in Lehre und Forschung am Institut für Maschinenbaukonstruktion und am Chemischen Institut gearbeitet, bis der Wunsch, hauptberuflich als Dichter zu arbeiten immer stärker wurde. „Wissenschaft ist immer eine Bereicherung“, erzählt Wahid Nader, „auch für einen Lyriker.“ Als ein Solcher Gesetze und Phänomene der Natur verstehen und interpretieren zu können, sei schön, betont er. „Schon immer gab es viele Ingenieure oder Mediziner, die geschrieben haben. Dieser Weg ist also kein Hindernis, sondern eher eine Bereicherung. 1978 gewann ich den ersten Preis für Lyrik an den syrischen Universitäten. Im Jahr 2012 erhielt ich den Deutsch-Arabischen Übersetzerpreis des Goethe-Instituts in der Kategorie ‚Etablierte Übersetzer’“, hält Wahid Nader lächelnd fest. 2018 wird sein Buch „Verbrennung der Myrte“ veröffentlicht.
Kunst, Liebe, Natur und Politik sind Themen seiner Gedichte, die er neben seiner Tätigkeit im Sprachenzentrum als Lehrbeauftragter für Arabisch veröffentlicht. „Auch den Sprachunterricht genieße ich sehr, weil ich meine Muttersprache liebe und weiterhin gerne unterrichte“, sagt er. „Der Austausch mit Studierenden ist sehr bereichernd für mich. Ihre Sicht auf die arabische Welt und die Vorstellungen über politische Entwicklungen sind wichtige Themen, die wir besprechen, und ich lerne von ihnen auch etwas. Ich bin dankbar dafür, dass sich die Studierenden für eine andere Kultur und die Sprache interessieren.“
„Zwei meiner Söhne sind Absolventen der Universität Magdeburg und arbeiten als erfolgreiche Ingenieure bei internationalen Firmen, der dritte schließt aktuell das biosystemtechnische Studium an der OVGU ab“, erzählt Wahid Nader. Seine größte Hoffnung bleibt, dass der syrische Krieg bald endet. Er möchte nach so vielen Jahren sein Dorf im syrischen Mittelmeergebirge gern wiedersehen.
Andrea Jozwiak